Von Mäusen und Menschen
von Marianne Wiethoff
Die ich rief die Geister...
Wie heißt es doch in Goethes „ Zauberlehrling“?
„Ach, da kommt der Meister
- Herr die Not ist groß!
Die ich rief die Geister,
werd ich ich nun nicht los!“
Alles begann mit einem Anruf meines Sohnes Julian, der mir eine üppige Futterspende eines Neusser Supermarktes in Aussicht stellte. Aber schnell gehen musste alles und das sofort, auf der Stelle, noch am selben Abend und vor Ladenschluß.
Ich fuhr also los und holte das ganze Futter (Hunde-,
Katzen-, Nager- und Vogelfutter ) in meinem Kombi in drei Fuhren ab. Eine Garage haben wir nicht, auch an einem Keller gebricht es unserem Reihenhaus, also wurde alles im Durchgang zum
Garten, auf den Korridoren (über drei Etagen), im Gästeklo und im Bad gestapelt und aufgetürmt.
Fortan konnte man sich in unserem Haus nur noch seitwärts, kletternd und mit eingezogenem
Bauch bewegen (wer mich kennt weiß, dass mir letzteres besonders schwerfällt).
Es dauerte nicht lange, da huschte mir im Durchgang zum Garten die erste Maus über die Füße -
als Tierfreundin fand ich das ganz goldig, besonders, als ich feststellte, dass besagte Maus sich bald schon einen geselligen Freundeskreis aufgebaut hatte, und fortan huschte und flitzte es durch
diesen Gang (noch war das turbulente Treiben auf diesen Bereich beschränkt).
Ab und zu, wenn
ich die Futterkisten bewegte, begann es zu rieseln..... und ich habe mir nichts dabei gedacht.
Auf einem der Regale lag unter anderem auch eine Seehundfelljacke, ein Stück, für dessen Besitz
man sich ja heutzutage schämen muss. Sie stammte aus dem Nachlaß einer Tante meines Mannes,
und da sie brandneu war, erwog ich, sie an jemanden Bedürftigen zu verschenken. Die Entscheidung, was damit letztlich geschehen sollte, wurde mir schneller abgenommen, als ich es mir
denken konnte.
Eines Tages wollte ich die Jacke mit nach Ungarn nehmen, zog sie vom Regal -
und es regnete 8 junge, noch blinde Mäuse auf mich herab. Ich geriet in Panik, habe fast geweint,
sammelte die Mäuschen vorsichtig wieder ein, wickelte sie in die Jacke (wo die Mutter ein Nest
im Futter angelegt hatte und die Jacke somit unwiderruflich ruiniert war) und legte diese wieder sorfältig zurück auf das Regal.
Mein Mann befand zwischenzeitlich, dass die Mäuse doch sicherlich Durst hätten....... und stellte ihnen ein Schälchen Milch hin.
Wer von Ihnen, liebe Leser, im Gegensatz zu mir die Gabe besitzt, logisch zu denken, weiß was nun unweigerlich folgen musste.
Eines Abends saß ich im Wohnzimmer vor der Flimmerkiste, als aus dem Flügel zartes Klimpern zu
vernehmen war. Zuerst stellten sich mir leicht die Nackenhaare - dann redete ich mir ein, dass ich
mich geirrt haben müsste.
Sicherheitshalber knipste ich aber doch die Lampe auf dem Flügel an -
und sah wenig später eine Maus über die Lampenschur balancieren.
Aha - nun waren meine
Logisgäste bereits in den ersten Stock vorgedrungen, der Durchgang zum Garten war nicht mehr fein genug. Und da eine Maus selten alleine kommt, herrschte auch bald in der ersten Etage ein munteres Treiben.
Die Bibliothek im Wohnzimmer ward bald zum Lieblingsplatz auserkoren - besonders das oberste Regal als das sicherste Plätzchen, und außerdem ist der Ausblick von dort oben - mäusemäßig gesehen - am schönsten.
Noch nahm ich ich die Sache mit Humor (ich fand Mäuse schon immer niedlich) und hatte
keine Ahnung, was noch alles auf uns zukommen sollte. Mein größter Fehler: Ich habe nicht an die rasante Vermehrung meiner neuen Hausgenossen gedacht.
Unruhig (!) wurde ich, als ich eines Tages feststellte, dass die Mäuse nun auch die Küche erobert hatten.
Die Obstschale war besonders beliebt, den zweiten Rang nahm der Brotkasten ein, und großer Beliebtheit erfreute sich auch ein Beutel mit Teelichtern: Wachs schien ihnen besonders gut zu schmecken.
Von nun an baumelten Hängeampeln von der Küchendecke, wo Brot, Obst uns alles was sonst “annagbar“ war, untergebracht wurde.
Langsam, ganz langsam machte ich mir Gedanken darüber, was zu unternehmen wäre.
Der Kammerjäger kam nicht infrage, Gift und Mäusefallen ebensowenig.
Also wurden Lebendfallen angeschafft, diese mit diversen Leckereien ausgestattet und aufgestellt - und es klappte.... zunächst. Die ersten Mäuse wurden gefangen und immer im gegenüber liegenden Park in die Freiheit entlassen.
Da es erstaunlich viele waren und ich nicht jedesmal in den Park laufen wollte, erstanden wir im Zoogeschäft einen geräumigen Käfig, ein hübsches (!) Häuschen aus Sisal mit diversen Löchern zum Rein- und Rauskrabbeln und zwei Eßnäpfchen.
Die Lebendfallen waren mittlerweile im ganzen Haus verteilt, und die darin gefangenen Mäuschen wurden immer kleiner - mit anderen Worten: es war reichlich Nachwuchs vorhanden. Zuweilen turnten bis zu acht Mäusekinder im Käfig herum, die dann irgendwann einmal wieder in die Freiheit entlassen wurden. Sie wurden natürlich während der Gefangenschaft mit Körnern, Brot, Obst und Milch versorgt - schließlich sollten sie „fit“ sein, wenn sie wieder frei gelassen würden. Eigentlich haben nur noch Vitaminpäparate gefehlt.
Mäuse sind bekanntlich sehr intelligente Tiere, und von einem Tag auf den anderen blieben
die Lebendfallen plötzlich leer, das Mäusetreiben und meine Ratlosigkeit nahmen zu. Und es
häuften sich Entdeckungen, die mir plötzlich den Ernst der Lage vor Augen führten:
Vor einer meiner letzten Reisen nach Ungarn hatte ich kurz zuvor noch eine große Kleiderspende erhalten, die ich aber noch nicht aussortiert hatte, und da mein Auto bereits übervoll war, stapelte ich alles im Wohmzimmer auf dem Ledersofa. Als ich nach ca. zwei Wochen zurück kam, mich kurz danach um diese Kleider kümmerte und einen Stapel hochhob, purzelten mir fünf junge Mäuse entgegen. dabei entdeckte ich, dass eine fast neue Lederjacke sowie das Ledersofa als Nest dienten - das Innenfutter der Jacke und der Strickkragen waren hinüber - und im Ledersofa fehlte ein kreisrundes Stück Leder von der Größe eines Hühnereis, und es lugte die weiße Füllung kess hervor:
ein weiches Plätzchen für eine neue Mäusegeneration.
Ich faßte mir ein Herz und stieg auf eine Leiter, um das oberste Regal der Bibliothek zu
inspizieren - hier stehen alte Reclambändchen, Operntexte, wertvolle Noten - diese waren teilweise zu Sägemehl verarbeitet und hatten offensichtlich auch als weiches Nest für den Mäusenachwuchs gedient. Bei einer Inspektion der Küche stellte ich fest, dass der Warmhaltewagen unter dem Gasherd als Nistplatz für die Mäusekolonie gedient hatte, wobei das Isoliermaterial meiner funkelnagelneuen, noch nicht eingebauten Spülmaschine als Füllung benutzt wurde. Papierschnipsel vor den Bücherregalen im Arbeitszimmer (3. Etage) zeigten mir, dass die Mäuse nun auch hier hausten.
Da war das Maß voll und meine Geduld am Ende. Unsere Hunde wurden ausquartiert, und unser Kater Lehmann, der seit unsere Hunde im Haus die Oberhand haben, ausschließlich bei meinem Sohn in der Einliegerwohnung lebte, wurde im ganzen Haus dienstverpflichtet.
Er machte seine Arbeit ordentlich, obwohl er auch schon 14 Jahre zählte, aber offensichtlich war er sich seiner Verantwortung bewußt, die er von Stund an hatte.
Es dauerte auch nicht lange und der Spuk hatte ein Ende - nachhaltig, wie ich seit einigen Wochen feststellen kann.
Seit Wochen bin ich nun mit der Grundreinigung des Hauses beschäftigt, Bücherregale zu leeren und zu säubern, die Küche zu desinfizieren und Schäden weitgehend auszubessern.
Nun wird sich mancher von Ihnen an die Stirn tippen - aber trotzdem gestehe ich, dass ich dabei
sogar noch ein schlechtes Gewissen habe. Denn schließlich hatte ich sie gerufen, die Geister, angelockt mit Leckereien vom Feinsten...
Den Mäusekäfig mitsamt Inhalt habe ich - für alle Fälle - aufgehoben.
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